Polytreff vom 13. Mai – Kritisches Feedback von Michael aus München
Nachfolgend das kritische Feedback zum letzten Polytreff, das uns von Gast-Teilnehmer Michael aus München heute erreicht hat; ich habe die Formatierung exakt so belassen, wie sie ins Michael’s Dokument enthalten war – nur die Zeilenumbrüche können sich natürlich verändern, je nach Breite eures Browser-Fensters!
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Einer der Gründe für die Einrichtung unserer Homepage war ja genau der, interessante und durchaus auch kontroverse Debatten nicht nur bei den monatlichen Treffs, sondern auch zeit-unabhängig im Internet zu ermöglichen …
Liebe Freunde vom Poly-Treff in Stuttgart,
letzten Samstag kam vom Poly-Stammtisch aus München sozusagen als Gegenbesuch zu euch nach Stuttgart. Dieser Besuch war tatsächlich Gold wert!
Da sprach Andrea von einer Nichtbeziehung, der Moderator (für diesen Abend) von Liebe als das Unwort überhaupt, und ein permanent grimmig dreinblickender Teilnehmer erstaunt davon, wie denn plötzlich der Begriff Gott in dieser Runde auftaucht.
Ja, da kam Freude in mir auf!
Ich möchte dazu 2 Antworten anmerken.
1. Nichts an Beziehung, an der Liebe, oder an Gott ist falsch!
Nichts daran müsste verändert, verbessert, oder als Irrtum abgeschafft werden.
Vielmehr ist es doch so, dass hier Probleme von Teilnehmern sichtbar geworden sind, die sich in
ihrer Persönlichkeit verankert haben und darauf warten, aufgelöst zu werden.
Statt dessen, und das darf man sich in aller Ruhe einmal vor Augen halten, finden hier lediglich Arrangements mit Problemen statt (das Schlimmste, was passieren kann), in dem Versuch, sie
dann auch noch mehr oder weniger offen als etwas ganz Großes auszuweisen.
2. Beziehung, Liebe und Gott sind Begriffe, die wir mit unserem rational ausgeprägtem Verständnis nicht verstehen können und deswegen selbstverständlich damit immer wieder scheitern.
Wo käme der Anspruch her, wir wollten mit unserem Geist, der alles sofort zergliedern und in Schubladen sortieren will, verstehen wollen, dass Begriffe wie z.B. Beziehung, Liebe und Gott auf eine Wirklichkeit zielen, die hinter unserem Realitätsverständnis liegen und (Achtung) signifikant für
Polyamorie, für Bewusstheit stehen?
Leute, ich bin seit gut 35 Jahren als Poly unterwegs und mit diesem Thema immer und immer wieder aus sehr verschiedenen Blickwinkeln in Erfahrung gegangen. Ohne die Öffnung aus der eigenen Begrenztheit und damit zugleich der Fremdbestimmung Anderer, wird Polyamorie nicht erfahrbar, nicht erreichbar. Wir müssen aus unserer Feigheit heraus nicht ständig versuchen, das Rad neu zu erfinden, sondern einfach nur unserer eigene Weigerung loslassen. So könnte Polyamorie beginnen!
„Wie oben, so unten“ lautet ein hermetischer Grundsatz.
Als wir aus dem Raum oben nach unten in den Speiseraum gegangen sind, ist niemandem von euch bis kurz vor Eintreffen des Notarztes aufgefallen, wie schlecht es mir zunehmend gegangen ist, und ich vor Schmerzen (Nierenkolik) zuletzt bald vom Stuhl gefallen wäre. Ich wollte jemanden von euch
um Hilfe bitten, aber ihr seit mit wichtigen Diskusionen beschäftigt gewesen. Die Kraft, mir Gehör zu verschaffen, hatte ich schon nicht mehr. Und selbst die Wirtin musste ich tatsächlich 5 mal darum bitten, den Notarzt anzurufen. Vielleicht glaubte sie, das Essen sei schlecht gewesen und daher meine Schmerzen. Wachheit und Sensibilität auch für den anderen, auch das ist Polyamorie.
Diese Reise nach Stuttgart war Gold wert: zu erfahren, wie Polyamorie jedenfalls nicht funktioniert.
Machts gut!
Michael
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Lieber Michael,
da sind wir aber froh, dass es dir allem Anschein nach wieder besser geht :-/
Ich war zwar nicht dabei, behaupte aber dass jeder sich gerne um dich gekümmert hätte.
Wenn man fünf Mal die Bedienung nach einem Notarzt fragen kann, hätte vielleicht einmal den Tischnachbarn um Hilfe bitten auch gereicht.
Meine Lieben vom Poly-Treffen,
nichts geschieht jemals ohne Grund.
‹Dieses Gedicht ist ein kleines Gegengewicht, für die Waagschale des Lebens, auf der immer zu wenig liegt…›
…so möchte ich es gerne halten und als Antwort auf Michaels Feedback meine Eindrücke schildern. (Sollte das hier fehl am Platz sein bitte an andere Stelle verschieben.)
Ich bin sehr dankbar für die Gespräche, die mir den Eindruck vermittelt haben, dass man einen anderen Menschen genauso sein und stehen lassen kann, wie er ist. Die Toleranz, die ich erfahren habe anderen Auffassungen ein und derselben Sache gegenüber. Ich bin dankbar, wenn Diversität dankend aufgefasst wird und einen Raum zum Atmen bekommt. Wenn man einem Menschen Anregungen und Raum zur Entwicklung geben kann, dann, wenn für ihn/sie diese Zeit gekommen ist.
Nicht: ‹Es gibt nur eine richtige Antwort und das ist meine!› sondern ‹Vielleicht hat jeder eine andere Antwort, oder vielleicht verstehen wir alle die Frage anders aber nichts davon ist falsch!›.
Ich habe für mich nochmal aus den Gesprächen bestätigen können, dass nur ich für das Äußern meiner Bedürfnisse verantwortlich bin. Erst wenn ein Gedanke meinen Kopf verlässt, steht er zur Diskussion und ich kann von niemandem verlangen mir alles von den Lippen abzulesen. Nonverbale Kommunikation hin oder her. Jeder von uns ist erwachsen und somit selbstverantwortlich!
Ich bedauere es sehr, wenn andere Menschen weniger positive Eindrücke gewonnen haben, kann aber nicht umhin an dieser Stelle an das Gesetz der Resonanz zu erinnern.
Ich habe letzten Samstag ein neues Zuhause gefunden und einige richtige ‹Herzensmenschen› kennen gelernt und dafür möchte ich einfach nochmal danke sagen.
Eine feste Umarmung und die Erinnerung: Heute ist der internationale Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie.
Ganz viel Liebe für Alle!
Ö
Lieber Michael,
ich hoffe es geht dir inzwischen wieder besser. Eine Nierenkolik ist keine schöne Sache.
Und ich möchte dir auch danken für deine offene Kritik; ohne sie hätte ich wahrscheinlich noch länger gebraucht um mich endlich auf der Seite zu registrieren.
Eingehen möchte ich auf deinen impliziten Hinweis, dass von uns nicht genug Sensibilität für dich und deine Schmerzen vorhanden war. Ich will dir an dieser Stelle nicht widersprechen, schließlich ist vielen von uns sehr spät aufgefallen, dass es Dir nicht gut geht. Als uns das bewusst wurde, war der Notarzt schon gerufen. Aber ich würde dir gerne aufzeigen, wie es mir an diesem Abend ging und wie ich mir meine fehlende Sensibilität erkläre.
Grundsätzlich freue ich mich immer über neue Teilnehmer beim Polytreff. Die daraus entstehenden Diskussionen sind interessant und haben mich oft weitergebracht. Wichtig dabei ist meiner Meinung nach eine gute Balance zwischen sachlichen und emotionalen Meinungen und der Respekt vor den anderen Teilnehmern und deren Meinungen und Lebensweisen. Und genau hier muss ich leider einhaken; letzteres habe ich vermisst. Und so habe ich in den drei Stunden das Interesse an einem weiterführenden Gespräch mit dir verloren. Und damit wohl auch nicht mehr auf dich geachtet.
Zwei Beispiele möchte ich nennen:
• Nachdem Andrea ihre „Nicht-Beziehung“ angesprochen hatte, hast du ihr in einer Weise geantwortet die weder Respekt noch Sensibilität gezeigt hat (Stichwort abkanzeln bzw. ich bin im Besitz der alleinigen Wahrheit).
Deine Wortmeldung hat bei mir, genauso wie deine Kritik hier auf der Seite, den sofortigen Wunsch ausgelöst zu widersprechen. Man kann weidlich darüber diskutieren ob das von Andrea angesprochene (Nicht-)Beziehungsmodell zu Poly passt oder nicht. Aber: Der Ton macht die Musik. Und das vor allen Anwesenden … ist das sensibel?
• In der Diskussion zum Thema „Was ist Liebe“ hast Du zweimal betont, dass es sich bei der wahren Liebe um die Liebe zwischen Mann und Frau handelt! So nebenbei. Als wäre das gar nicht diskutabel (siehe oben: ich bin im Besitz der alleinigen Wahrheit).
Ist dir klar, dass in dieser Runde auch Menschen sitzen, die nicht heterosexuell sind? Deine Sitznachbarin hat in der Eingangsrunde von ihrer letzten Partnerin erzählt. Nicht nur ihr sind bei deinen Kommentaren die Gesichtszüge entglitten. Ist das sensibel?
Dies war bei weitem nicht alles was mich bewegt hat; alles in allem hatte ich deswegen kein Interesse mehr an einem Gespräch und habe meine Aufmerksamkeit anderen Anwesenden beim Abendessen gewidmet.
Und um noch deinen Schlusssatz aufzugreifen: so wie von dir vermittelt funktioniert Polyamorie bestimmt auch nicht. Sie hat neben Offenheit und Ehrlichkeit auch mit Respekt zu tun.
Andreas
Hallo Michael
Ich habe mir lange überlegt ob ich auch noch meinen Kommentar abgeben soll oder nicht. Ich habe mich dafür entschieden, da ich beim lesen gemerkt habe, dass meine Anspannung wie am Samstag sehr schnell angestiegen ist.
Ich weiß nicht welche Art von Rückmeldungen du sonst für deine Beiträge zu diesem Thema erhältst. Ich hatte recht schnell das Bild von einem Missionar, der extra aus München zu uns fährt um uns den Weg der wahren Tugend der Polyamorie zu zeigen. Deine Erfahrungen mit dem Thema Polyamorie und auch dein Aufenthalt im ZEGG in allen Ehren. Ich habe auch inhaltlich nichts gegen deine Beiträge auch wenn ich sie nicht alle Teile. Aber die Art deines Vortrages und die Formulierungen die fast immer den Anspruch der Allgemeingültigkeit hatten bringt mich sehr schnell an meinen Rand. Mit dieser Art sprichst du jeder anderen Meinung ihre Gültigkeit ab und vermittelst eine Haltung die absolut abwertend ist. Ich kann nicht hinnehmen, dass jemand seine ganz persönliche Wahrnehmungen Erfahrungen und daraus die ganz individuelle in deinem Kopf entstandene Interpretation als die allgemeingültige verkauft. Dies ist definitiv nicht wertschätzend und hat nichts produktives, für den anderen oder die Beziehung. So auch nach meiner Definition von Liebe nichts liebevolles. Wobei wir hier wieder bei der unendlichen Definition von Liebe wären.
Allein dein letzter Satz betrachtet, indem du uns allen erklärst wie (da du es anscheinend als einziger weißt) Polyamorie funktioniert oder eben nicht, hat schon was von Größenwahn.
Auch der Anspruch, zumindest habe ich es so herausgelesen, wir hätten erahnen sollen wie es dir geht, klingt für mich nicht sehr erwachsen und ist meiner Erfahrung nach was eine Beziehung auf Augenhöhe betrifft nicht förderlich.
Ich hoffe du kannst mit den Kritiken etwas anfangen und siehst sie nicht als Schmutz, mit dem nach dir geworfen wird.
In diesem Sinne
Gute Zeit und alles gute deinen Nieren.
Gruß
Heinz (Moderator)
Lieber Michael,
ich hoffe, dass es dir mittlerweile besser geht. Es tut mir leid, dass neben deinem persönlichen Erleben der Gruppe auch deine Gesundheit deinen Ausflug nach Stuttgart so negativ beeinträchtigt hat. Ich saß drei Stunden lang unmittelbar neben dir und habe keinerlei Anzeichen wahrgenommen, dass es dir nicht gut geht – vor allem weil du dich immer wieder zu Wort gemeldet und eifrig mitdiskutiert hast.
Auch mich hat dein Beitrag dazu bewogen, mich auf der poly-Seite zu registrieren – ein schönes Beispiel dafür, dass nichts zwecklos ist.
Als Neuling in der (Stuttgarter) Polyszene habe ich meine bisherigen Begegnungen in diesem Kontext vollkommen anders als von dir beschrieben erlebt. Die Diversität, das Variationsspektrum, die Offenheit, die Bereitschaft, Persönliches zu teilen, haben mich sehr gefreut. Ich finde es schön und bereichernd, – und das ging mir auch am vergangenen Samstag so – ganz unterschiedliche Perspektiven auf dieselbe Sache kennen und verstehen zu lernen. Dass jede*r sich dem Thema anders nähert und dadurch den Diskurs lebendig hält, ist meines Erachtens wichtig. Wenn alle dasselbe denken, gibt es nichts mehr zu lernen.
(Ich möchte dir außerdem energisch widersprechen, wenn du sagst, dass die wahre Liebe zwischen Mann und Frau besteht. Vor allem, wenn du gleichzeitig von Liebe als etwas Universellem sprichst.)
Für mich hat jede Ausprägung von poly etwas mit Achtsamkeit und Respekt und auch mit Annehmen zu tun. In erster Linie mit dem Annehmen der Tatsache, dass nicht jede*r so denkt und empfindet wie ich – und dass keine Ansicht besser oder schlechter ist als meine eigene, sondern höchstens anders. Das macht die Dinge wohl kompliziert, aber auch spannend.
Ich wünsche dir alles Gute,
herzliche Grüße
anja